Das Lutherland
2017 wird ein großes Festjahr: 500 Jahre Reformation und der Höhepunkt der Lutherdekade. Überall in der näheren Umgebung wird dem großen Prediger Martin Luther gedacht: in Eisenach, in Weimar, in Erfurt, in Wittenberg und selbstverständlich auch in Eisleben. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt „luthert“ es hier und es luthert dort, denn hier nahm die Reformation ihren Anfang.
Keine Sorge, die Langenwetzendorfer Osterbrunnen bleiben bis auf weiteres lutherfrei. Bis hierher kam der große Reformator und Begründer der protestantischen Kirche nicht – zumindest gibt es diesbezüglich keine Überlieferungen. Doch wir liegen mittendrin in Mitteldeutschland und gehören damit ganz eindeutig auch zum „Lutherland“. Ganz entziehen können und wollen wir uns dem Jubiläum nicht, denn das Wirken Martin Luthers setzt sich bis heute fort. Und Martin Luther liebte wohl das Osterfest.*
Doch wer war Martin Luther?
Geboren wurde der Reformator 1483 in Eisleben als Sohn eines Bergmanns und Mineneigners. Der Vater stammte ursprünglich aus Möhra (Thüringen, Wartburgkreis); die Mutter aus Neustadt an der Saale (Bayern, Unterfranken). Aufgewachsen ist Luther, der seinen Nachnamen von Eleutherios (der Freie) ableitete, im nahegelegenen Mansfeld (Sachsen-Anhalt). Dank seiner relativ wohlhabenden Eltern konnte der junge Martin die Schule besuchen, u. a. ein Jahr die Magdeburger Domschule. Zum Abschluss der Schulausbildung schickten ihn seine Eltern auf die Pfarrschule nach Eisenach, wo er schließlich fließend Latein sprechen und schreiben lernte. Im Frühjahr 1501 begann Luther sein Studium an der Universität in Erfurt. Die Studienschwerpunkte waren zunächst Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Der Vater wollte, dass der Sohn zur Juristenfakultät wechselte, doch schon bald ereilte den jungen Mann Gottes Berufung. Der Überlieferung nach traf ihn die Offenbarung Gottes beinahe wie ein Blitz. So wurde Martin Luther Mönch und trat ins Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. Im berühmten Erfurter Dom fand seine Priester-Weihe statt. Doch schon bald haderte er mit den Grundsätzen der damaligen Theologie. Sollte man nicht Gott lieben, anstatt ihn wegen seiner Bestrafungen zu fürchten?
1511 kam Luther nach einer Romreise in Wittenberg an. Dort wurde gerade eine neue Universität aufgebaut, wo er zum „Doctor Theologiae“ promovierte. Er übernahm den Lehrstuhl „Bibelauslegung“ und hielt Vorlesungen – beispielsweise über die Psalmen und die Paulusbriefe. Noch heute sind einige Originalmanuskripte erhalten. Sie erlauben es Historikern, die Entwicklung der lutherischen Gedanken und den Bruch mit den römisch-katholischen Lehren und Bräuchen wie dem Ablasshandel nachzuvollziehen. Bereits 1515 lag Luthers grundlegendes Bibelverständnis vor: Ablassbriefe gegen das Fegefeuer waren ihm ein Dorn im Auge. Seine Rebellion gegen die Kirche gipfelte im Thesenanschlag zu Wittenberg. Am 31.10.1517 soll Luther seine 95 Thesen an das Eingangsportal der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben. Es war der Ausgangspunkt einer Rebellion.
Die Luther-Thesen stießen in der Öffentlichkeit auf offene Ohren und verbreiteten sich – auch dank des neu erfundenen Buchdrucks durch Johannes Gutenberg – für die damalige Zeit rasend schnell.
Der kirchlichen Obrigkeit, allen voran dem Kardinal Albrecht von Mainz, war dieser Prediger ein Dorn im Auge. Sie mussten reagieren. Einerseits mit eigenen Gegenthesen und letztlich mit der Anzeige Luthers beim Papst in Rom. 1518 wurde Luther bei der Kurie in Rom vorgeladen. Dank einiger Finessen und Tricks konnte es Martin Luthers Fürsprecher, der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, letztlich so drehen, dass Luther beim Reichstag zu Augsburg verhört werden sollte. Der dort drohenden Verhaftung entzog sich Luther durch Flucht. Er tauchte zunächst unter. In Leipzig jedoch wurde er von Widersachern herausgefordert und nahm 1519 an der „Leipziger Disputation“ teil. Diese spitzte den Häresieprozess gegen ihn weiter zu. Luther drohte 1520 der Kirchenbann und damit der Ausschluss aus der Kirche, wenn er sich nicht dem gängigen Diktat unterwerfen sollte. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ war seine Schrift an Papst Leo. Danach vollzog Luther den endgültigen Bruch: Er verbrannte demonstrativ einige Schriften und Dekrete. Das führte zur Exkommunizierung, aber auch zu einem neuen Personenkult. Luthers Ansehen stieg in der einfachen Bevölkerung schnell – er war quasi ein Popstar seiner Zeit.
Kurfürst Friedrich der Weise zog im Hintergrund die diplomatischen Strippen und schaffte es, dass Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521 sprechen durfte. Doch anstatt Abbitte für sein an den Tag gelegtes Verhalten zu leisten und so auf eine Begnadigung zu hoffen, blieb Luther unbeugsam. Sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ ist mittlerweile aus dem deutschen Zitatenschatz nicht mehr wegzudenken und in fast jeder Lutherausstellung im Lutherland zu finden. Doch ob dieser Ausspruch wirklich so fiel, ist in den Quellen nicht überliefert.
Luther wurde mit der Reichsacht belegt. Es war von nun an verboten, seine Schriften zu lesen oder zu drucken. Wer ihn beherbergte, sollte ihn dem Kaiser übergeben. Luther war damit vogelfrei, sein Leben in höchster Gefahr. Doch immerhin erhielt Luther freies Geleit, sodass er sich auf den Heimweg machen konnte. Er besuchte zunächst Verwandte in Möhra, vielleicht um sich für immer zu verabschieden. Auf dem weiteren Weg wurde er in der Nähe von Bad Liebenstein entführt. Kurfürst Friedrich der Weise war der Auftraggeber. Er hatte beschlossen, dass Luther zunächst aus der Öffentlichkeit verschwinden müsste, bis etwas Gras über die Sache gewachsen wäre und sich die größte Aufregung gelegt hätte. Luther wurde auf der Eisenacher Wartburg festgesetzt. Mehrere Monate bis zum Frühjahr 1522 lebte Luther auf der „Burg der Burgen“ inkognito als „Junker Jörg“ und schaffte dort sein Meisterwerk, das ihn bis heute unsterblich macht. In gerade einmal elf Wochen übersetzte er das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche und ermöglichte so dem einfachen Volk Zugang zur Bibel. Seine verwendete Sprache bildete den Grundstein für ein frühes, gemeinsames Hochdeutsch. Luthers Sprache hat sich bis heute erhalten – nicht nur im Lutherland sondern im ganzen, deutschsprachigen Raum. In den darauffolgenden Jahren übersetzte Luther weitere Bibelteile, sodass wir heute die „Lutherbibel“ kennen. Die Übersetzung war weniger wortwörtlich. Luther suchte nach dem Wortsinn und presste Aussagen in Bilder. So entwickelte er rein intuitiv eine bilderreiche, volkstümliche und allgemeinverständliche Sprache, die noch heute genutzt wird. Oder hätten Sie gedacht, dass „Feuertaufe“, „Machtwort“, „Lästermaul“ oder die Redewendung „die Zähne zusammenbeißen“ direkt dem Geist Luthers entsprangen und seine Kreationen sind? Die Lutherbibel wurde erst für das Jubiläum 2017 aufwändig überarbeitet und wieder näher an das Original gebracht. Die Vorstellung der Überarbeitung erfolgte in einem Festakt auf der Wartburg – einem von vielen Festakten im Lutherland zum Start ins Reformationsjahr.
Ab 1522 kam es zu Tumulten in Mitteldeutschland: In Wittenberg wollte man weitreichende Gottesdienstreformen. Nonnen und Mönche verließen die Klöster – zum Teil aus innerer Überzeugung im Rahmen des neuen Glaubens. Zum Teil aus Angst um ihr Leben, weil katholische Klöster von Luthers Anhängern zerstört wurden. Nicht überall konnten sich die beiden Religionsgemeinschaften von Althergebrachten und Reformern auf ein friedliches Miteinander einigen. In Zwickau wurden Anhänger Luthers, Nikolaus Storch und der Lutherschüler Thomas Münzer, ausgewiesen. Daraufhin sah sich Luther gezwungen zurückzukehren und zur Mäßigung aufzurufen. Doch den großen Flächenbrand konnte er nicht mehr aufhalten. Mit dem Bauernkrieg begehrten die untersten Schichten der Gesellschaft auf. Die Reformation hatte den Charakter einer Volksbewegung angenommen und markiert einen Wendepunkt in der Geschichte. Das Mittelalter war Vergangenheit. Die Neuzeit brach an.
Der Bauernaufstand wurde niedergeschlagen. Allein bei Bad Frankenhausen fand ein Massaker statt. Am Ende lagen über 5000 Bauern tot auf dem Schlachtfeld. Die Dimension des Gemetzels zeigt das große Bauernkriegspanorama von Werner Tübke eindrucksvoll.
Das Reich wurde in den nächsten Jahrzehnten neu geordnet. Die Kirchenspaltung in Protestantische Kirche und Katholische Kirche ließ sich nicht mehr aufhalten. Der Westfälische Friede beendete 1648 den Dreißigjährigen Krieg und stellte beide Konfessionen gleich. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Zunächst wurde beim Reichstag zu Augsburg 1530 das protestantische Glaubensbekenntnis „Confessio Augustana“ Kaiser Karl überreicht. Luther selbst wohnte dem Akt nicht bei. Als Geächteter kam er nicht weiter als bis zur Veste Coburg, dem letzten Außenposten seines Fürsprechers Friedrich, dem Weißen.
Im April 1523 wurde aus dem Mönch Martin Luther der Familienmensch, denn er heiratete die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Für ihn war damit das Zölibat Geschichte. Er wurde Vater von drei Töchtern und drei Söhnen. Noch heute Leben mehrere Tausend Nachkommen Luthers in Deutschland, allen voran im Lutherland. Sie organisieren sich in der Vereinigung der Lutheriden.
In seinen späten Lebensjahren war Luther nur noch Seelsorger und Publizist. Er reiste und predigte. Bis 1545 hielt er trotz vieler Erkrankungen regelmäßig Vorlesungen an der Universität in Wittenberg. Er versuchte den Fortgang der Reformation zu beeinflussen und schreckte dabei auch nicht davor zurück, andere Religionsgemeinschaften und Gruppen dafür zu verunglimpfen. Seine Abneigung gegen das Judentum ebnete in späteren Zeiten den nationalsozialistischen Ideologien den Weg. Der Türke war für ihn lange Zeit die Inkarnation des Antichristen.
Luther starb 1546 in Eisleben. Er wollte einen Streit der Grafen von Mansfeld schlichten. Der letzte Weg führte Luther über Halle an der Saale, wo er oft predigte, zurück nach Wittenberg. Dort fand am 22. Februar die Beisetzung in der Schlosskirche statt.
Was hat Mitteldeutschland Luther zu verdanken?
Die Kurzantwort: Viel. Im Lutherland trifft man zwangsläufig fast überall auf den großen Reformator. Unzählige Museen und Ausstellungen widmen sich seinem Leben und Wirken. Es gibt Lutherhäuser – nicht nur in Eisleben. In einigen hat Luther selbst übernachtet. Manche Häuser stammen allerdings nur aus seiner Zeit und geben trotzdem einen Einblick in das Leben und die Gedankenwelt seiner Zeitgenossen.
Man kann Luther auch erwandern. Der Lutherweg führt nicht nur von Eisleben nach Wittenberg. Ein Netz aus Wanderwegen zu bekannten Stätten der Reformation erstreckt sich von Worms aus bis vor die Tore Dresdens. Pilger und Wanderer können sich über die Grenzen von Bundesländern hinweg auf die Spuren von Luther begeben, Landschaften entdecken und Geschichte erleben. Erst 2016 wurde rund um Gera der Lutherweg fortgesetzt.
Wir verdanken Luther nicht nur unsere Sprache sondern beispielsweise auch die Gottesdienstordnung und die Musik. Martin Luther verstand es nämlich, Musik für sich und seine Ziele zu nutzen. Durch neue Texte für Volks- und Weihnachtslieder erfand er wahre „Gassenhauer“.
Mitteldeutschland verdankt Luther auch großartige Kunstwerke, die vom Zeitgenossen Lucas Cranach dem Älteren geschaffen wurden. Darunter die bekannten Lutherporträts. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die Cranach-Altäre in Weimar und Neustadt an der Orla.
In Weimar wird darüber hinaus in der Anna Amalia-Bibliothek ein besonderer Schatz aufbewahrt: Eine originale Lutherbibel von 1534. Sie konnte beim Aufsehen erregenden Brand 2004 zum Glück aus dem brennenden Gebäude gerettet werden.
Wir verdanken Luther nicht nur die Trennung von Staat und Kirche, sondern auch die Basis unseres Gemeinwohls. Sowohl Diakonie als auch Franckesche Stiftungen können ihre Wurzeln auf die Lutherschen Thesen zurückführen. Das „Licht Gottes“ in Form von wundervollen Weihnachtssternen bringt die Herrnhuter Brüdergemeinde in die Welt. Die Herrnhuter Gemeinschaft war auch in Saalburg-Ebersdorf aktiv und damit im Gebiet des Fürstentums Reuß.
Inspiriert wurde dieser Artikel von einer Sendung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR): „Mitteldeutschland von oben – Lutherland“. Prädikat „sehenswert“!
*Zitate von Martin Luther zum Thema „Ostern“
- Bei uns ist alle Tage Ostern, nur dass man einmal im Jahr Ostern feiert.
- Wer den „stillen Freitag“ und den Ostertag nicht hat, der hat keinen guten Tag im Jahr.
- Ostern ist, wenn der gewissermaßen zweiten Geburt Jesu ein Gedenken zugetragen wird.
Bildquellen:
- Ausschnitt aus Deutschlandkarte. Bild von: ClkerFreeVectorImages / pixabay.com
- Lutherrose. Bild von Daniel Csörföly (from Budapest, Hungary) [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons